Für den „König der Löwen“ geben sie alles, doch irgendwann muss jeder Darsteller gehen. Wer Musical-Star sein will, nimmt eine Existenz mit befristeten Arbeitsverträgen und wenig Privatleben in Kauf. Nun stehen in Deutschlands Musical-Hauptstadt Hamburg wieder 20 Neue auf der Bühne.
Von Markus Huth
für Spiegel Online
ierres Hände drücken sich in zwei Stelzen, sie sehen aus wie die Pfoten einer Hyäne. Auf allen Vieren stolziert er damit durch den Proberaum. „Diese Rolle ist furchtbar für den Rücken, aber wenigstens weiß ich jetzt, wie sich mein Hund fühlt“, sagt er. Der 35-Jährige probt in Hamburg gerade für seine neue Rolle: die Hyäne Banzai im Disney-Musical „König der Löwen“. Derzeit tauscht der niederländische Unterhaltungskonzern Stage Entertainment als Veranstalter fast die Hälfte des 53-köpfigen Ensembles aus – und der US-Amerikaner Pierre Alexandre gehört zu den 20 Neuen. Diese Woche stand er zum ersten Mal auf der Bühne.
„Rocky“, „Tarzan“, „Sister Act“: Viele kommen und gehen, nur der König bleibt: „König der Löwen“ ist auch der König unter den Musicals in Deutschland. Stage Entertainment, größter Musical-Veranstalter der Republik, zeigt derzeit vier verschiedene Shows in der Hansestadt. Experten schätzten, dass die Musicals pro Jahr 500 Millionen Euro Umsatz machen. Aber keines ist so erfolgreich wie der „König der Löwen“, keines lief so viele Jahre am Stück. Seit der Premiere Ende 2001 haben laut Stage rund neun Millionen Besucher die Show in dem eigenen Theater im Hamburger Hafen gesehen. Und immer noch ist sie regelmäßig ausverkauft – obwohl Karten am Samstagabend bis zu 160 Euro kosten.
Die Musical-Produktion ist ein knallhartes Business, das den Darstellern körperlich und zeitlich viel abverlangt. Befristete Arbeitsverträge sind in der Branche die Regel – für Haupt- wie Nebendarsteller. „Um die Produktion frisch zu halten“, so drückt es Cornelius Baltus aus. Der Holländer ist seit neun Jahren künstlerischer Leiter von „König der Löwen“ in Hamburg.
Über 100 Löwenkinder in elf Jahren
ieses Jahr gehört eben Pierre zum frischen Blut. Zuletzt gab der durchtrainierte Hühne im Musical „Ein Käfig voller Narren“ in Zürich die Zofe Jacob. Zu seiner neuen Rolle als Hyäne gehört neben den Stelzen auch eine große Fratze. Über Drähte, die an einem Metallring um seinen Kopf befestigt sind, kann Pierre die große Maske lenken und stößt dabei rollenbedingt irres Gelächter aus.
Doch schwer haben es Musical-Darsteller nicht nur wegen der körperlichen Anstrengung und der befristeten Arbeitsverträge. „Es ist fast unmöglich, eine Beziehung zu führen“, sagt Pierre, der selbst geschieden ist. Alle paar Jahre muss er für eine neue Rolle umziehen. Auch im Alltag bleibt wegen der vielen Proben und Vorstellungen – „König der Löwen“ wird achtmal pro Woche aufgeführt – kaum Zeit für ein Privatleben. Sogar mit der eigenen Familie bekam Pierre wegen der Berufswahl Stress. Sein Vater, ein Richter aus New Jersey, wollte eigentlich, dass sein Sohn Arzt wird. Trotzdem bereut Pierre nichts: „Ich lebe meinen Traum!“
Mit ihm proben gerade zwei Kinder. Der elfjährige Tiemoko Oulai ist wie Pierre neu im Ensemble. Er spielt den Star der Show: den jungen Löwenprinz Simba. Tiemokos Eltern stammen von der Elfenbeinküste, in Hamburg sahen sie eine Zeitungsannonce fürs Casting und meldeten ihn an. Nun tritt er vor Tausenden Zuschauern auf.
„Bei Kindern gibt es strenge gesetzliche Vorgaben, was die Arbeitszeit angeht“, sagt Felix Sauer, der künstlerische Leiter für die Kinder. Diese Vorgaben sind auch der Grund, warum Simba sechsfach besetzt ist und die kleinen Darsteller permanent rotieren. Oder in der Spätvorstellung nie den Applaus genießen dürfen – sie müssen vorher ins Bett. Auch wird ihr Gehalt den jungen Darstellern beziehungsweise deren Eltern nicht direkt ausgezahlt, sondern für die Kinder angelegt, „als Startkapital für die Zukunft“, so Stage.
Ein Nashornvogel für einen Neuwagen
och was ist das Erfolgsgeheimnis vom „König der Löwen“? „Ich denke, es ist die zeitlose Geschichte“, sagt der künstlerische Leiter Baltus. Die Geschichte vom verlorenen Sohn, der heimkehrt. Die Geschichte vom ewigen Kreislauf des Lebens. Schon der Disney-Zeichentrickfilm von 1994, auf dem das Musical beruht, war unglaublich erfolgreich. Die besondere Stärke der Show ist zudem ihr exotischer Klang: Angesiedelt in der Serengeti, bringt sie afrikanischen Gesang auf die Hamburger Bühne. „König der Löwen“ ist geschaffen, um Fernweh zu wecken. Die bunten, handgefertigten Kostüme und Masken tun ein Übriges. Allein die Puppe des Nashornvogels Zazu kostet 35.000 Euro, verrät Mike Grimm, Chef der hauseigenen Puppenwerkstatt.
Der bunte Vogel ist auch bei der Probe von Pierre, Tiemoko und Serena dabei. Mit aufgerissenem Schnabel warnt er die Löwenkinder vor Gefahr. Doch es ist zu spät: Die Hyänen haben sie schon umzingelt. „Huaar, huuar, huaar“, höhnt Pierre mit irrem Gesichtsausdruck. Er hofft, sagt Tiemoko, dass er noch lange den Löwenjungen spielen darf. „Und wenn ich groß bin“, fügt er eilig hinzu, „will ich den erwachsenen Simba spielen.“ Aber das hat es in über elf Jahren „König der Löwen“ in Hamburg noch nie gegeben.